#WieWirLeben: Quellwasser, Wald und radikaler Perspektivenwechsel

Hofgeschichten, 31.08.2018, Stefan Heinisch

Botschafter gibt es viele. Die Mitglieder der charmanten Gesinnungsgemeinschaft „Urlaub am Bauerhof“ zählen einige davon. Aber Günter Zeilinger ist nicht nur das, sondern noch mehr. Er gestaltet seine eigene Wirkungssphäre. Mit Heike und seinen drei Jung-Zeilingers teilt er sich ein begehrtes Fleckchen Kärntner Boden mit viel Wald, fünf Quellen, einer üppigen Dosis Freiraumgrün rundherum und noch viel mehr Weitblick über das fruchtbare Land am Südbalkon der Alpen. Günters Konzept versprüht einen Hauch Avantgarde über einen zutiefst ländlichen Raum im Oberen Gurktal. Besuch und Zukunftsgespräch mit einem ruhigen, aber progressiven Landrebellen.

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Kinder und Hund knien im Schnee | © Urlaub am Bauernhof Kärnten / Daniel Gollner

Lassen 1, das kann man getrost auch so stehen lassen. Wie der Klang der Postanschrift der Gemeinde Himmelberg daherkommt, so zeigt sich auch das Setting des Anwesens am Prekowaberg, in dessen Bauch man der Sage nach sogar einen unterirdischen See vermutet. Die Tibel (Anmerkung: Das Gewässer, der Bach) „...könnte ausbrechen und das gesamte Kesselthal von Himmelberg unter Wasser setzen. Auch ging die Rede, Gnesau werde einmal versinken, Himmelberg ertrinken und Feldkirchen im Sand ersticken und zwar dann, wenn der Pfleger von Himmelberg nur mehr ein einziges Paar Ochsen haben wird.“, so dramatisch will es der Mythos, der sogar noch via Wikipedia blüht. Aber Endzeitstimmung ist nicht das Metier des jungen Landwirts am schönen Landschaftsbalkon, der den Blick über Mittelkärnten frei macht.

Apropos „Mittekärnten“, das Natur Gut der Zeilingers, das von der Morgensonne sanft gestreichelt wird, hat etwas Beruhigendes. Fernab von Durchzugsstrassen oder dicht bevölkerten Skipisten liegt es einfach nur so da und ist trotzdem international schwer begehrt. Vielleicht liegt es an den fünf Quellen, die auf dem Grund des Natur Guts entspringen, dass fleissige deutsche Hüttendorfbetreiber hartnäckig versuchten, diesen Platz für wirtschaftliche Zwecke zu erschließen. Aber er ging nicht in die Knie. Der ökonomische Wert darf nicht überschätzt werden (selbst wenn zwei Generationen „ausgesorgt“ hätten, wie man im umgangssprachlichen Ton zu sagen pflegt). Nein, der Zauber des Neoliberalismus wirkt in Lassen nicht. „Ich will arbeiten“, sagt Günter hingegen, „allerdings sinnvoll und korrespondierend mit meiner jeweiligen Lebensphase“, untermauert er dann noch ruhig, aber selbstbewusst seine Widerstandskraft gegen ausheimisches Investorengeld, wie hoch es auch immer gewesen sein mag. Das weiss nur er. Hut ab, Chapaeu und was man sonst noch so sagen kann, wenn man die Millionenshow wieder wegschickt.

„Die Quellen. Das sind Orte an denen das Wasser zur Welt kommt“

Eventuell liegt es dann doch an der besonderen Aura, die die Tiebelquellen unter mir zu kreieren vermögen. Mehr und mehr fühle ich mich hier für einen flüchtigen Moment wie Aragorn, Thronerbe von Arnor und Gondorr, verliebt in Arwen, die königliche Maid und Halbelbin. Aber hier ist nicht Tolkiens Welt, schade eigentlich. Auch wenn Himmelberg seine Anziehungskraft aus einer besonderen, Garten-Eden-haften Komposition bezieht. Und so sehr ich es mir jetzt auch wünsche, keine Spur einer Halbelbin, sondern eine mit viel Gefühl für Natur und Mensch vor allem sehr behutsam und nachhaltig betriebene Landwirtschaft, eine wünschenswerte Blaupause für ein ökosozial-vorbildhaftes Wirkungsareal. Und: Lebensraum auf Zeit für natursehnsüchtige Postmaterialisten, die ihre beschleunigte Alltagswelt einfach mal für ein paar Tage hinter sich lassen und den Kindern (und eigentlich viel mehr noch sich selbst) ein gutes Leben zeigen möchten. Nicht als Zuschauer oder Zaungast im Streichelzoo. Mittendrin statt nur dabei, das ist hier wie bei vielen Landwirtschaften, die ihre Höfe, Tore und Herzen für jene Menschen öffnen, denen eine vier oder fünf Sterne-Superior-Dienstleistungsbehandlung das Herz einfach nicht mehr wärmen mag, tagtägliches Programm. All-inclusive.

Wie Zeilinger selbst, sind auch seine Gäste vielleicht ein klein wenig abseits der Norm, wo immer die auch sein mag und wer auch immer den Anspruch beansprucht, diesen Zustand überhaupt definieren zu können. Anyway. Vor ein paar Jahren (Günter verantwortet das Geschehen hier seit immerhin schon 20 Jahren) kam die Anfrage eines Managers, der mit ihm eine Woche im Wald einfach nur Holzarbeit verrichten wollte. Vielleicht, um sich wieder zu spüren. Zwischen all den Meetings und dem Business-Gelaber, das Euros, aber keine Seelenresonanz bringt. Wo geht das besser, als bei Akteuren, die mit all ihren Füßen und mit noch mehr Geist und Seele im Tun verwurzelt sind. Einmal mehr zeigt sich so, dass Urlaub am Bauernhof das wirkungsvollste „Digital Detoxing“ ist, das man für leistbares Geld überhaupt haben kann.

„Es gibt Gäste, die bei uns den Lebensabend verbringen wollen“

Tourismus liegt heute eh in den Händen von internationalen Giganten. Booking.com, Google und AirBnB wissen, wohin die Reise geht. Schön, dass ein Landwirt, dessen Hauptaugenmerk das Reisegeschäft alleine ja gar nicht sein kann, auf die Frage nach seinen Zukunftsvisionen, ganz gelassen erwidert: „Meine Gäste sind sowieso die besseren Marktforscher und Unternehmensberater“. Anders als bezahlte Optimierungssöldner sprechen die Gäste des Natur Guts im Plural, wenn sie über ihre Erlebnisse, Emotionen am Hof erzählen. Hier zählt das Wir. Hier ist die Shareconomy bereits gelebte Gegenwart. Und mit Günter haben die „temporary visitors“ jemanden gefunden, der auch zuhören kann. Für sich selbst hat er verstanden, dass die guten zwischenmenschlichen Botschaften durch den Magen gehen müssen, also aus der Küche kommen. So ist es in Lassen mittlerweile auch gelebte Tradition, dass die Kinder einmal pro Woche, idealerweise freitags, also am letzten Urlaubsabend, für ihre Eltern kochen und Brot backen. Was dann mitunter passiert, ist großes Sozialkino. Die Kleinen erklären den Großen, wo der Hammer hängt, wie man Brot bäckt. Zu beobachten, wie Kids, die hier oben nicht wurzeln, vor den staunenden und teilweise irritierten Augen ihrer Eltern das selbstgebackene Brot brechen, ist nicht nur ein archaisches Ritual mit viel Tiefenwirkung, sondern auch eine wohltuende Bestätigung, dass es hier auf exakt 1.040 Meter Seehöhe um viel mehr geht, als nur Gast zu sein. Nicht Urlaub, sondern Heimat bei Freunden. Das Wegfahren tut jetzt sogar irgendwie weh. Danke für den schönen Schmerz.

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Stefan Heinisch
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