#WieWirLeben: Heilige Landschaft
Mario Lugger ist in seiner Heimat, dem Lesachtal, fest verwurzelt. Er betreibt dort mit seiner Familie eine Berglandwirtschaft und das Haus im Wiesengrund, wo Menschen, die sich primär nach dem Einfachen sehnen, gerne auf Zeit leben können. Obendrein liebt er körperliche Arbeit (damit er am Abend richtig müde ist) und bestellt sein Feld noch mit Vieh und Egge. Sein zweites berufliches Standbein brachte den Lesachtaler bereits auf alle Kontinente des Globus. Angetan hat es ihm Kamtschatka, die wenig bekannte Halbinsel im äußersten Osten der russischen Föderation, mit fauchenden Geysiren. Dort ist er als Skiguide (und staatlich geprüfter Bergführer) der Vertrauensfaktor für Europäer, die auf zwei Brettern den besonderen Kick suchen.
Zurück nach Maria Luggau. Dort, wo Kärnten an Osttirol grenzt, und in der benachbarten 700 Seelen-Gemeinde Obertilliach sogar James Bond („Spectre“) schon böse Menschen jagen durfte, ist es eigentlich das ganze Jahr hindurch ruhig und beschaulich. „Wer zu uns kommt, der sucht schon das Besondere, Abgelegene und Kleinstrukturierte“, beleuchtet Mario Lugger die Motivation seiner Gäste, die gut nachvollziehbar ist. Das eigentliche Glück des Lesachtals, diese irgendwie autark wirkende Existenz abseits der Hauptreiserouten, war aus touristischer Sicht lange Zeit auch ein Fluch. Weit weg von den urbanen Zentren, keine großen Hotelburgen, keine Reiseveranstalter, die All-Inclusive-Pauschaltouristen durch das Tal hetzen wollen. Aber diese Kehrseite der Medaille kratzte die Lesachtaler nicht, die machten einfach weiter ihr Ding und gingen trotzdem mit der Zeit. Sehr schlau und eine wohltuende Ausnahme im grundsätzlich aber nicht vom Massentourismus überrannten südlichsten Bundesland unter rot-weiß-roter Flagge.
„Unsere Gäste waren damals richtige Wanderbären“
An die Sommertage in den Bergwiesen erinnert er sich gerne zurück, wenn er gefragt wird, welche Eindrücke er mit dem Kindsein am Hof verbindet. Oder wenn junge Kälber oder Ziegen zur Welt kamen, das gefiel dem jungen Mario sehr gut. Vor allem letztere, so frech und ungeduldig, in diesem Verhalten sah sich der lebhafte Jungspund, wie in einem Spiegel. Später durfte er mit den Gästen in die Berge gehen, den richtigen Weg weisen und konnte ab und an damit der nicht immer lustigen Arbeit am Hof entkommen. Ein erfahrener Wandergast des Hauses ließ ihn eines Tages sogar ein paar Meter über einen Felsen abseilen. Ein prägendes Erlebnis. „Da hatte ich das erste Mal Luft unter’m Hintern, ein super Gefühl“, erinnert er sich leicht jauchzend an die Zeit als glücklicher Bauernbub und ein bis dato unbekanntes Gefühl, das noch Lust auf mehr machen sollte.
„Ich darf Berglandwirtschaft betreiben, aber ich muss es nicht“
Ein stolzes Volk sind sie schon, die Lesachtaler. Es wirkt und geht rein, wenn man mit ihnen spricht, zuhört. Der kernige Akzent, der mehr nach Tirol als nach Kärnten klingt. Die kräftigen Hände, die Körperspannung. Während ich neben Mario sitze und seine Geschichte höre, komme ich mir schwach, weich und entwurzelt vor. Und bin auch etwas neidisch. Geht mir sonst nicht so. „Früher, da haben’s uns oft belächelt und als Hinterwäldler abgestempelt, aber das Bild hat sich heute gedreht“, erzählt der Luggauer vom aufsteigenden Selbstbewusstsein in der Talschaft. „Meine Kinder sind heute stolz auf ihre Herkunft, auf die Wurzeln und sie kommen auch gerne am Wochenende nach Hause, weil sie merken, dass zwei Tage Heimat guttun“, spricht er hoffnungsvoll über seinen Nachwuchs, als optimistische BürgerInnen, die kein Problem mit der großen, weiten Welt haben, aber trotzdem wissen, wo sie hingehören. Das klingt so gar nicht nach Landflucht oder Ungewissheit bei der Hofübergabe, die am Wiesengrund natürlich noch lange nicht ansteht.
„Das Wichtigste im Leben ist gutes Essen“
Im Tal der 100 Mühlen, wie man das Lesachtal auch nennt (eigentlich waren es bis zu 196 wasserbetriebene Anlagen, die hier mal mahlten), hat auch der Ackerbau lange Tradition. Alle Bauern waren hier mal Selbstversorger und es wurde trotz der ungünstigeren Höhenlage (im Falle von Maria Luggau zirka 1.200 Meter über dem Meer) Korn angebaut. Weizen, Roggen, Hafer und Gerste überzogen den gesamten Talboden, bis dann in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Import des Korns einfacher und vor allem leistbarer wurde und so die Tradition des Ackerbaus an die Wand drängte. Die Luggers vom Wiesengrund bewirtschaften heute immer noch ihr eigenes 40 mal 40 Meter großes Stück Fruchtbarkeit, das Mario mit einem an einer Seilwinde befestigten Pflug bearbeitet. Oldstyle eben. Er braucht sowas, sagt er. Wilder Hund, sag ich.
„Essen, was hier wächst, ist von großer Bedeutung für mich“
Selbst etwas anzubauen, zu beobachten wie es wächst, es dann zu ernten und das Korn in unserer knapp 250 Jahre alten Mühle weiterzuverarbeiten und schlussendlich das herrliche Brot zu geniessen, das ist ein derart hohes Gut, das in der heutigen Gesellschaft nur noch den Bauern vergönnt ist“, kommt es ihm stolz mit einem Hauch Ehrfurcht über die Lippen. Was er hier beschreibt, ist der Weg des Brotes. Ein archaischer Kreislauf der Selbstversorgung, den Nicht-Bauern und Urbanisten gar nicht mehr kennen. Ganz sicher ist es eine Reise zu den Wurzeln des Geschmacks, so würde es die internationale Slow Food-Bewegung nennen. Aber auch die UNESCO befand, dass dieser Umstand geschützt gehört und hat vor einigen Jahren das Prädikat des „immateriellen Weltkulturerbes“ für die Brotkultur des Hochtals ausgesprochen. Ein Stammgast, wovon es im Wiesengrund noch viele gibt, meinte mal, das Lesachtal wäre eine ideale Gegend für Feng-Shui. Die Landschaft komme ihm so heilsam vor. Da wird schon was Wahres dran sein. Oder ist es nur die Ruhe und der fehlende Zivilisationslärm? Ja, vielleicht. Es sind aber insbesondere auch die Menschen und ihre lebendige Lokalkultur. Terra Sancta.